ZEIT ONLINE: Herr Schiebel, ich habe Flugangst. Können Sie das verstehen?

Dieter Schiebel: Selbstverständlich. Weil Sie die Kontrolle abgeben müssen, an den Flugkapitän und die Technik des Flugzeugs. Damit tun sich viele schwer. Zu 80 Prozent betrifft das Menschen, die Führungspositionen inne haben, die das Steuer immer selbst in der Hand haben müssen. Wahrscheinlich sind Sie auch im Auto ein schlechter Beifahrer.

ZEIT ONLINE: Das bin ich. Aber warum fällt einem dieser Kontrollverlust so schwer?

Schiebel: Sie können nicht loslassen, vor allem nicht ihre Angst. Aber darum geht es: Sie müssen die Angst zulassen. Das ist das Erste, was man in einem Flugangst-Seminar lernt. Wer die Angst zulässt, lindert seine Symptome.

ZEIT ONLINE: Wie viele Menschen haben Flugangst?

Schiebel: Laut Allensbach-Institut ist es jeder Vierte. Oft kommen noch andere Ängste hinzu, etwa Platzangst oder Höhenangst.

ZEIT ONLINE: Ich dachte, ich hätte meine Flugangst im Griff. Durch den Absturz der Germanwings-Maschine ist es wieder schlimmer geworden. Schier unglaublich, dass einfach so ein Flugzeug vom Himmel fällt.

Schiebel: Das Flugzeug ist nicht einfach so vom Himmel gefallen. Kein Flugzeug fällt einfach so vom Himmel. Die Germanwings-Maschine ging in einen Sinkflug. Warum, das wissen wir noch nicht. Da möchte ich hier nicht spekulieren.

ZEIT ONLINE: Täuscht der Eindruck, oder gab es in den vergangenen Monaten mehr Flugzeugunglücke als sonst? Die beiden Malaysia-Airlines-Flüge, der Absturz der Air-Asia-Maschine, jetzt die Germanwings. Was ist da los?

Schiebel: Das ist eine falsche Wahrnehmung. Flugzeuge befördern jedes Jahr 3,7 Milliarden Menschen weltweit. 2013 waren es 388 Tote, 2014 um die 900. Man muss diese Zahlen einfach miteinander ins Verhältnis setzen, um zu erkennen: Flugzeuge werden immer die sichersten Verkehrsmittel sein.

ZEIT ONLINE: Ich verstehe das. Ich fahre auch jeden Tag mit dem Fahrrad ins Büro und weiß, dass die Gefahr, unter einen Lkw zu kommen, wesentlich größer ist, als mit dem Flugzeug abzustürzen. Dennoch habe ich vorm Radfahren keine Angst. Wieso nicht?

Schiebel: Beim Menschen liegen Rationalität und Irrationalität weit auseinander. Wir versuchen, beides zusammenzubringen. Man muss sich erst einmal klar machen: Was ist Angst? Woher kommt sie? Was macht sie mit uns? Und wie komme ich aus diesem Teufelskreis wieder raus? Wenn man einmal versteht, wie der biologische Aufbau des Körpers ist, dann versteht man auch die Angst.

ZEIT ONLINE: Aber wenn Fliegen angeblich so sicher ist, warum betrachten so viele es als Gefahr?

Schiebel: Weil die Leute nicht weiter denken. Wenn ein Löwe auf Sie zukommt, ist die Angst real, er könnte Sie töten. Dann können Sie nur kämpfen oder flüchten. Flugangst ist eine Angst vor dem Unbekannten, den Geräuschen, Turbulenzen, der Technik. Aber die Angst ist nicht real. Das ist Kopfkino. Sie treffen falsche Einschätzungen.

ZEIT ONLINE: Nach dem Motto: Oje, was war das für ein Geräusch?

Schiebel: Genau. Geräusche sind einfach da, in jedem Flugzeug: Triebwerksgeräusche, Umströmungsgeräusche, Klappengeräusche, Tausende Geräusche. Das Problem ist, dass die Geräuschentwicklung in jedem Flugzeug anders ist. Das macht es schwierig, sich drauf einzustellen. Auf Geräusche sollte man deshalb überhaupt nicht achten.

ZEIT ONLINE: Was ist mit Turbulenzen?

Schiebel: Turbulenzen sind keine Gefahr, sie schaden dem Flugzeug überhaupt nicht. So eine Tragfläche kann bis zu zehn Meter nach oben und fünf Meter nach unten schwingen. Aber selbst bei sehr schweren Turbulenzen schwingen sie vielleicht mal einen halben Meter. Da haben wir also eine 95-prozentige Sicherheitstoleranz drin.

ZEIT ONLINE: Wieso macht der Pilot keine Durchsage?

Schiebel: Jeder Pilot ist anders. Der eine sagt etwas, der andere sagt nichts. Bei Turbulenzen sagt der Pilot eventuell nur: Bitte den Service einstellen. Damit schützt er seine Crew. Die müssen sich dann anschnallen.

ZEIT ONLINE: Dann heißt es festkrallen.

Schiebel: Nein, Sie sollen sich nicht festkrallen. Sie müssen mit den Turbulenzen mitgehen.