Innenminister Thomas de Maizière hat nach eigenen Worten die gegen ihn erhobenen Vorwürfe in der BND-Affäre vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages ausgeräumt. Anders als in Medien berichtet, habe er nichts von irgendwelchen illegalen Selektoren des US-Geheimdienstes NSA gewusst. Namen von deutschen Firmen wie der EADS seien ihm in seiner Zeit als Kanzleramtsminister schon gar nicht untergekommen, sagte der Innenminister.

In seinen Augen ist die Spionageaffäre damit beendet. So zumindest klang er: "Ich habe 2008 als Kanzleramtsminister nichts von solchen Begriffen zum Zwecke der Wirtschaftsspionage erfahren." Es sei damals viel mehr um den Wunsch der USA gegangen, die Kooperation in Bad Aibling — de Maizière nannte sie eine "problematische Kooperation" — auszuweiten. Der BND habe davon abgeraten, daher habe die Bundesregierung den Wunsch der Amerikaner ausgeschlagen. 

Wenn es denn irgendeine Schuld daran gab, dass der BND die ausufernde Spionage der NSA duldete, dann lag sie beim Bundesnachrichtendienst – so zumindest kann man die Aussagen des Ministers deuten.

Doch so einfach ist es nicht. Vielmehr wirft de Maizières Aussage ganz neue Fragen auf. Wie sollte die Bundesregierung einen solchen Wunsch ausgeschlagen haben, ohne sich vorher gründlich darüber informiert zu haben? Und was wollten die Amerikaner damals ausweiten? Dazu blieb de Maizière vage. Er sagte lediglich, es sei um "Sicherungsmechanismen" in Bad Aibling gegangen, diese hätten die Amerikaner abbauen wollen, um mehr Informationen zu bekommen.

War das eine Reaktion der USA auf das Murren des BND, der immer wieder Selektoren aussortiert hatte, statt mit ihnen in abgehörten Daten zu suchen? Zu diesem Punkt sagte de Maizière nichts. Nur in einem war er sehr klar: "Daher bleibt von den Vorwürfen gegen mich nichts übrig."

Die Sicht des Ministers wird von Unionsmitgliedern gestützt. CDU-Kontrollgremiumsmitglied Clemens Binninger sagte, laut der Aktenlage "war für den Minister kein Handlungsbedarf erkennbar". Stephan Mayer (CSU) sieht die Vorwürfe gegen de Maizière "restlos aufgeklärt. Mit unserem Minister wurde Scharlatanerie getrieben".

Andere sind sich da nicht so sicher: Der Vorsitzende des Kontrollgremiums, Andre Hahn (Linke), sagte, in den Akten fänden sich durchaus Hinweise, der BND habe die Regierung vor der NSA gewarnt. Er habe das Kanzleramt demnach davon in Kenntnis gesetzt, "dass es Umgehungsversuche der NSA gab". Die Bundesregierung habe aber offenbar nichts dagegen unternommen und nicht versucht, "die Spionage zu unterbinden" – zumindest gebe es keine entsprechenden Aktenvermerke.

Auch Hans-Christian Ströbele, der für die Grünen im PKGr sitzt, widersprach de Maizière. "Es gibt Erkenntnisse, dass der Minister Anlass hatte, im BND nachzufragen, worauf das Misstrauen gegen die NSA denn beruht. Diese Erkundigung ist nicht erfolgt." Es seien auch keine Maßnahmen ergriffen worden, um die NSA zu stoppen. 

De Maizière war von 2005 bis 2009 Kanzleramtschef. In dieser Zeit war dem Bundesnachrichtendienst (BND) aufgefallen, dass er von der NSA Suchkriterien zur Ausspähung von Daten bekommen hatte, die zu europäischen Institutionen führen. Auch der Vorwurf der Hilfe des BND bei US-Wirtschaftsspionage in Europa steht im Raum.

Auf die Frage, ob er rückblickend etwas anders machen würde, hatte de Maizière vor der Sitzung gesagt, er habe die Unterlagen aus dieser Zeit noch nicht komplett gesichtet. Auch habe er keinen vollständigen Überblick über das, was im BND geschehen sei: "Ich kann die Frage zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantworten."

Das Kanzleramt hatte sich vergangene Woche an die US-Seite gewandt, um zu klären, wie mit den sogenannten Selektoren umgegangen werden kann. Dabei handelt es sich etwa um IP- oder Mail-Adressen, die die NSA dem BND zur Datenabschöpfung übermittelte. Eigentlich soll dies dem Anti-Terror-Kampf dienen. Seit 2008 hatte der BND etwa 40.000 NSA-Suchmerkmale aussortiert und in einer Liste gespeichert.

Ströbele hielt der Regierung vor Beginn der Sitzung erneut vor, sie habe über den Vorgang falsch informiert. Ihm sei noch Anfang 2014 gesagt worden, über die Ausspähung deutscher Unternehmen sei nichts bekannt. "Ich will wissen, warum mir die Unwahrheit gesagt worden ist."

Ströbele fordert Herausgabe der Daten bis Donnerstag

Ströbele forderte die Bundesregierung auf, die Liste mit den Suchbegriffen zu der umstrittenen Spionagetätigkeit bis Donnerstag herauszugeben, damit sich der NSA-Untersuchungsausschuss am selben Tag damit befassen kann. "Das sind sehr viele, vermutlich Millionen", sagte Ströbele. Deshalb solle die Regierung die Liste nicht auf Papier, sondern digital zur Verfügung stellen. Dann könne der Bundestag selbst nach sogenannten Selektoren suchen, die nach deutschem Recht nicht zulässig seien. Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) hatte ebenfalls gefordert, dass die Parlamentarier rasch Akteneinsicht nehmen können.  

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte zuvor eine rasche Herausgabe der Liste abgelehnt. Sie will dies zunächst mit den USA beraten. Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) teilte dem Kontrollgremium am Abend mit, dass sich die Bundesregierung vorerst nicht über eine ausstehende Erlaubnis der Amerikaner hinwegsetzen wolle.

Die Kanzlerin kündigte an, sich in der Affäre dem NSA-Untersuchungsausschuss als Zeugin zur Verfügung zu stellen. "Ich werde da aussagen und da Rede und Antwort stehen, wo das geboten ist", sagte Merkel.  

Die Mitglieder des Kontrollgremiums beschlossen, dem BND demnächst einen Besuch abzustatten, um sich selbst ein Bild vom Umgang mit den US-Suchmerkmalen zu machen. Zu dieser Praxis will der NSA-Ausschuss an diesem Donnerstag auch mehrere Mitarbeiter befragen.