Es ist noch nicht lange her, da war Russell Brand hauptberuflich ein Populist in eigener Sache: Ein narzisstischer Selbstdarsteller, der um jeden Preis aus der grauen Vorstadt flüchten wollte, um berühmt zu werden – und es schließlich bis nach L.A. geschafft hat. Inzwischen hat sich der 39-Jährige als politischer Aktivist neu erfunden. In seinem Buch "Revolution" und der Dokumentation "The Emperor’s New Clothes" geißelt er die Ungerechtigkeiten des Kapitalismus und die Unfähigkeit unserer Demokratie. Auch bei unserem Gespräch in London ist Brand überraschend ernst und nachdenklich.

ZEITmagazin ONLINE: Mister Brand, Sie planen derzeit eine Revolution für eine gerechtere Gesellschaft. In Ihrem Buch prangern sie auf 400 Seiten die Ungerechtigkeit unseres Systems an, weil sich ein paar Wenige auf Kosten der Mehrheit bereichern. Wie kommt jemand, der als Schauspieler in Hollywood sein Geld verdient, auf solche umstürzlerischen Gedanken?

Russell Brand: Aus genau diesen Gründen. Ich kenne das einfache und das luxuriöse Leben. Was ich in Hollywood schnell gelernt habe: Wenn man keine innere Beziehung zu sich selbst, zu Gott und der Allgemeinheit aufbaut, ist das Leben dort sehr leer. Ganz egal, wie reich man ist. Materialismus kennt nicht die Antworten auf die Fragen des Lebens.

 ZEITmagazin ONLINE: Und dafür mussten Sie extra nach Hollywood? Dass Ruhm oberflächlich ist, ist ja nicht ganz neu.

Brand: Richtig, wahrscheinlich bin ich einfach etwas dümmer als Sie. Ich hatte fest daran geglaubt, dort meine Erfüllung zu finden. Natürlich wusste ich tief in mir, wie idiotisch es ist, zu glauben, dass man durch Reichtum, Sex oder Drogen glücklich werden könne. Aber irgendetwas tickt in mir, dass mich diesen Dingen exzessiv nachgehen lässt.  

ZEITmagazin ONLINE: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Ihr individueller Wandel – die Abkehr von Drogen, Alkohol und Materialismus – zeige, dass auch ein gesellschaftlicher Wandel möglich sei. Wieso soll Ihre sehr persönliche Reise denn die von jedermann sein?

Russell Brand protestiert mit den Bewohnern des New Era Estate in London gegen die Räumung. © Dan Kitwood /​ Getty Images

Brand: Uns allen steht die gleiche Palette an Emotionen zur Verfügung. Natürlich gibt es Abweichungen: Auf einer Müllhalde in Kenia aufzuwachsen, ist nicht vergleichbar mit einem Leben in South Kensington oder Berlin. Schlussendlich sind wir alle Wesen mit einem Bewusstsein, das allerdings gesteuert wird durch Sehnsüchte und Angst. Unsere Gesellschaft baut aber in gewisser Weise auf den hässlichsten Werten unseres Seins auf. Deshalb plädiere ich in meinem Buch dafür, eine neue Ordnung zu installieren und alle Systeme abzuschaffen, die nur einer kleinen, elitären Kaste nutzen und zudem Geiz und Egoismus vorantreiben. Alles, was dem im Weg steht, muss durch Nicht-Kooperation, Ungehorsam und Revolution eliminiert werden.

ZEITmagazin ONLINE: Ihre Revolution ist eine radikale Absage an unser Modell marktwirtschaftlicher Demokratie. Bisher haben Sie sich als Komiker einen Namen gemacht – aus welchem Grund sollten die Menschen gerade mit Ihnen diesen Schritt gehen?

Brand: Sie müssen nicht mir folgen, die Menschen müssen sich selbst folgen. Ich bin nicht wichtig, sie sind es. Ich bin nur ein Lautsprecher für Ideen. Schauen Sie sich um: Das Gebäude des Cafés, in dem wir hier sitzen, sollte an einen privaten Investor verkauft werden. Der wollte Luxuswohnungen daraus machen. Die 93 Familien, die hier wohnen, haben mich um Hilfe gebeten. Am Ende unserer Kampagne durften sie ihre Wohnungen behalten. Der Investor hat einen Rückzieher gemacht. Das zeigt doch, individuelle Revolution ist machbar. Und aus der Geschichte wissen wir, dass auch landwirtschaftliche und soziale Revolutionen erfolgreich waren. Der Wandel, von dem ich rede, ist unabwendbar. Wir müssen uns nur entscheiden, wer die narrative Hoheit besitzt – die oder wir? Die kleine, korrupte Elite, die durch das System immer reicher wird? Oder die Mehrheit der Bevölkerung?

ZEITmagazin ONLINE: Woher wollen Sie denn wissen, was die Mehrheit will?

Brand: Stimmt, das weiß ich nicht. Deshalb brauchen wir autonome Genossenschaften, die ihr eigenes System aufbauen und leiten. Woher soll ich wissen, was richtig für die Menschen in Peking ist? Ich weiß noch nicht mal, was richtig für die Menschen in diesem Raum hier ist.

ZEITmagazin ONLINE: Unser momentanes System ist über Jahrzehnte gewachsen mit vielen regulativen Mechanismen. Warum reicht Ihnen das nicht?

Brand: Für mich ist unsere Demokratie die reinste Maskerade. Keiner kann Regierungen davon abhalten, Waffen an Länder zu verkaufen, die wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik stehen. Keine Partei sagt, dass wir das globale Finanzsystem durch etwas Faireres ersetzten sollten. Wir müssen begreifen, dass wir den gleichen Gegner haben: Großkonzerne und träge Politiker – die oftmals gemeinsame Sache machen. Unsere Demokratie ist so aufgebaut, dass man die Bereiche, die tatsächlich von Bedeutung sind für die Armen und Benachteiligten, nicht verändern kann. David Cameron und Angela Merkel können noch so nette Menschen sein, aber sie bleiben Teil dieses korrupten Systems. Aus diesem Grund halte ich nichts von Reformwillen. Denn Reformen haben nicht die Kraft, einen echten Wandel herbeizuführen. Sie brauchen mir nicht zu glauben, ich bin nur ein Komiker, aber fragen Sie mal Naomi Klein. Die wird Ihnen sagen, dass die einzige Art, den Klimawandel zu stoppen, nur über radikale Maßnahmen führt. Sonst bleibt alles, wie es ist.

ZEITmagazin ONLINE: Verletzt es Sie eigentlich, dass man Sie im Netz die Gwyneth Paltrow der Politik nennt – einen Lifestyle-Guru mit gutgemeinter Agenda?

Brand: Meine Kritiker sagen solche Dinge aus reiner Angst. Weil sie wissen, dass diese Revolution stattfinden wird.