Es hat lange gebraucht, bis die NSA-Affäre das Bundeskanzleramt und die Bundesregierung erreicht hat. Das Abhören von Angela Merkels Telefon durch fremde Nachrichtendienste genügte dazu nicht, das konnte noch als diplomatische Frechheit abgetan werden. Ein "Das geht gar nicht" der Kanzlerin gab es, ein bisschen medial vermittelte Eiszeit in den Beziehungen zu den USA, aber keine Konsequenzen. Nicht einmal die Tatsache, dass Informationen von deutschen Staatsbürgern in den Schleppnetzen der Dienste landeten, sorgte für echte Turbulenzen.

Doch nun ist es passiert, nun muss die Bundesregierung wohl endlich Stellung dazu nehmen, wie viel Spionage sie dulden, wie viel Überwachung sie fördern will. Die NSA ist dabei nur indirekt schuld daran. Ursache für die Regierungskrise sind die eigenen Spione, Ursache ist der Bundesnachrichtendienst.

Seit einem Jahr ermittelt der Untersuchungsausschuss des Bundestages zur NSA-Affäre bereits. Seit einem Jahr befragen die Abgeordneten Zeugen und haben in der Zeit Zehntausende Seiten Akten gelesen. Viel haben sie dabei über die seltsamen Aktivitäten der NSA und auch über die des Bundesnachrichtendienstes erfahren. Eine entscheidende Frage aber konnten sie bislang nicht klären: Warum hat der BND erst viel Geld und Zeit in die gemeinsame Spionageaktion namens "Eikonal" gesteckt, sie dann aber nach nur vier Jahren 2008 sang- und klanglos beendet?

Bislang hatte es immer geheißen, das Abschnorcheln von Internetleitungen am Netzknoten in Frankfurt habe nicht die erhofften Ergebnisse gebracht. Das aber ist offensichtlich nicht einmal ein Viertel der Wahrheit. Endlich wurde der letzte Puzzlestein bekannt, der das Bild vollständig macht: Die NSA wollte dort nicht nur Terroristen ausspähen, sie wollte gleichzeitig auch mehr über Europas Wirtschaft und Europas Politiker erfahren – und der BND wusste und tolerierte das.

Die NSA fragte den BND, ob er ihr hilft, an europäische Internetdaten zu kommen. Der BND machte mit. Denn er hoffte, dadurch an die Überwachungstechnik der Amerikaner zu kommen und mehr darüber zu lernen, wie man IP-Daten und das Internet ausspäht. So machte man sich zum Büttel, sammelte für die NSA Daten und suchte darin mit von der NSA gelieferten Stichworten nach Informationen, die man den Amerikanern liefern konnte.

Bald aber merkten die Beamten, dass sie missbraucht wurden. Die NSA wollte mehr als nur ein paar islamistische Ausländer überwachen, sie wollte europäische Rüstungsprojekte wie den Eurocopter ausforschen, Daten von europäischen Behörden sammeln und sogar einzelne europäische Politiker ausspähen. Doch statt sich zu beschweren und das Ganze zu stoppen, spielten die deutschen Spione mit. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt – nach diesem Muster glaubten sie, die fraglichen Begriffe rausschmeißen und die Amis austricksen zu können. So läuft das Geschäft der Geheimdienste, niemand traut dem anderen, jeder bescheißt jeden.

Der Fall zeigt, wie krank das Geschäft der Geheimdienste ist. Er zeigt, wie verschoben deren moralische und rechtliche Maßstäbe sind. Sehenden Auges nahm der BND hin, dass ihn die NSA dazu missbraucht, Unternehmen, Behörden und Politiker in Europa auszuspähen. Ein Pakt mit dem Teufel, dem zugestimmt wurde, weil man glaubte, ihn kontrollieren und vor allem davon profitieren zu können.

Aber wenn jeder jeden betrügt und austrickst, wo bleiben dann Recht und Gesetz? Richtig, auf der Strecke. Keiner der Beteiligten scherte sich darum, niemand interessierte sich für Grundrechte der Bürger, auch das wurde in den Befragungen im Untersuchungsausschuss klar.

Demokratien dürfen unkontrollierbare Geheimdienste nicht dulden

Das Problem: Das deutsche Kanzleramt hat es entweder gewusst und gebilligt, dann hätte die Bundesregierung, allen voran der damalige Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier, Gesetze gebrochen und Grundrechte verletzt. Oder der BND sagte es dem Kanzleramt nicht, dann wäre er unkontrollierbar und darf so in einem Rechtsstaat nicht existieren. Denn das Kanzleramt ist die Rechts- und Fachaufsicht des BND. Wenn nicht einmal die Regierung ihre Spione im Griff hat, dann hat niemand sie im Griff. Demokratien kennen aber keine unkontrollierbaren und allmächtigen Gremien und sie dürfen sie nicht dulden, wenn sie Demokratien bleiben wollen.

Was also muss passieren? Das Mindeste ist ein neues, strengeres Gesetz über die Arbeit des BND. Das Mindeste ist auch, dass die damals politisch und rechtlich Verantwortlichen auch verantwortlich gemacht werden. Von Gerichten, nicht indem sie von irgendeinem Amt zurücktreten und einen gut bezahlten Ruhestand beginnen. Noch besser wäre es allerdings, wenn die Rolle der Geheimdienste in einem demokratischen Deutschland neu diskutiert und neu definiert würde. Denn "Eikonal" ist nicht nur der "Albtraum der Bundesregierung", wie die Süddeutsche Zeitung nach der Aufdeckung der Geheimdienstkooperation schrieb. "Eikonal" ist der Albtraum der Demokratie.