"Die großen Fische fressen die kleinen", sagt einer trocken. "So einfach ist das." Ein anderer pflichtet ihm bei: "Es reicht ihnen nicht, uns zu verkaufen. Wir sollen verschenkt werden." Die Männer sitzen in einem Café im nordgriechischen Dörfchen Proti an den Ausläufern des Pangäon-Gebirges und kommentieren unwillig die Fernsehnachrichten. Wenige Meter entfernt, die Hand zum Gruß erhoben, steht der berühmteste Sohn des Dorfes, Konstantinos Karamanlis. Überlebensgroß und in Bronze, ist seine Statue flankiert von der griechischen und der europäischen Fahne; hinter ihm, in Stein gemeißelt, die Karte des vereinigten Europas.

Karamanlis, der große Staatsmann, Gründer der konservativen Nea Dimokratia, mehrfacher Premierminister und bis kurz vor seinem Tod 1998 Staatspräsident, steht vielleicht wie wenige andere für Griechenlands Bekenntnis zu Europa. Wäre er noch am Leben, er wäre wohl zutiefst bestürzt darüber, was die Leute seines Dorfes seit Monaten beschäftigt: seien es die Wahlergebnisse des Referendums, die im Café von Proti live übertragen wurden, oder die Aussagen des österreichischen Bahnchefs Christian Kern, der Interesse an der staatlichen Bahngesellschaft OSE bekundet, aber im selben Atemzug erklärte, er schließe "völlig aus, einen positiven Kaufpreis zu bezahlen".

Für die Männer im Café ist das nichts als bitterer Spott: das öffentliche Vermögen des Landes verschenkt an ausländische Konzerne, nachdem die Privatisierung einem Treuhandfond der EU überlassen werden musste.

Tabak, Baumwolle, Sonnenblumen

Karamanlis Heimatdistrikt Serres in Griechenlands Norden ist arm. Früher lebte fast jeder hier vom Tabakanbau. Es gibt auch heute noch viel Landwirtschaft, immer noch Tabak, inzwischen auch Weizen, Baumwolle und in diesem Jahr Sonnenblumen. Die meisten, die in Proti und den benachbarten Dörfern leben, waren irgendwann in Deutschland, in den 1960ern oder 1970ern, in Fabriken, auf dem Bau. Sie erinnern sich, wie sie Chemietanks geschrubbt haben und danach immer ein Glas Milch trinken mussten. Viele sind immer noch in Deutschland; und jetzt, während der deutschen Sommerferien, sieht man überall auf den Dörfern Autos mit Stuttgarter Kennzeichen.

"Was ist der Schäuble nur für ein Mensch?", fragt einer seinen Vetter, der gerade aus Baden-Württemberg angereist ist.

"Der ist kein Mensch", sagt der grinsend. "Der ist Schwabe."

Auf den ersten Blick sieht alles aus wie immer. Es ist früher Abend, die Menschen gehen spazieren, setzen sich zu ihren alten Klassenkameraden, Nachbarn, Verwandten, halten ein Schwätzchen, ein bisschen Politik, ein bisschen Blödelei. Aber die unaufgeregte Stimmung trügt.

Wer kann, geht weg

Die Exilgriechen kennen die Lage in der Heimat; sie leben nicht aus reinem Vergnügen im Ausland. Während sie zumindest insgeheim immer wieder mal überlegen, wie sie in die Heimat zurückkehren können, bekommen sie Anrufe ihrer Geschwister aus Griechenland, die fragen, ob sie für den Neffen, den Cousin, den Schwager Arbeit haben. Wenn sie einmal im Jahr zurückkommen, müssen sie sich jedes Mal ganz kurz neu orientieren: Was macht der Sohn vom Papagiorgi, ist der noch Elektriker? Nein, der macht jetzt Tabak. Der Pepis? Ist nach Deutschland gegangen. Der Dimitris? In Australien.

Es ist unheimlich. An jedem Feldweg stehen Schilder mit der Aufschrift "Zu verkaufen", darunter mit Hand geschrieben eine Handynummer. Felder, Häuser, in den Kleinstädten Läden und Geschäfte. Aber keiner kauft.

Wer die Möglichkeit hat, geht weg. Wer bleiben muss, hält sich oft mit drei oder vier Jobs über Wasser, mit der Ernte von Honigmelonen, mit Taxifahren, kellnern. "Es ist wie in den 1960ern", erzählt eine Frau aus dem Nachbardorf Nea Bafra. "Aber das war nach dem Krieg. Wir waren arm, es gab nichts außer Tabak." Heute ist das anders. Ihre Kinder haben eine Ausbildung, die Söhne sind Tischler, haben die Werkstatt des Vaters übernommen.

Aber weil immer weniger Aufträge eingehen, arbeitet der Ältere auf den Tabakfeldern, für 30 Euro am Tag. Das ist viel, denn die bulgarischen Tagelöhner, die am Dorfplatz sitzen, machen es auch für weniger. "Eine Tochter ist schon weg", sagt sie. "Sollen meine Söhne auch noch gehen?"