"Warum ist Russland gut? Weil es ein Land der Groteske ist, ein Eldorado für einen Schriftsteller." Dieser Satz stammt von Wladimir Sorokin, einem der bedeutendsten russischen Schriftsteller der Moderne.

Sorokin kann sich freuen. Denn die russische Regierung tut derzeit alles, um seine Worte zu bestätigen. Schon vor einem Jahr wurde ein Importverbot für Lebensmittel aus der EU, Norwegen, den USA, Kanada und Australien eingeführt. Am 6. August nun hat Präsident Wladimir Putin angeordnet, alle Lebensmittel aus diesen Ländern, die dennoch eingeschmuggelt werden sollen, bereits an der Staatsgrenze vernichten zu lassen. 

Allein in den ersten fünf Tagen nach dem Präsidentenerlass wurden knapp 500 Tonnen Obst, Gemüse, Käse sowie Fleisch durch Wanderkrematorien und Planierraupen vernichtet, teilt die  russische Agrar-Aufsichtsbehörde Rosselchosnadsor mit. Darunter waren beispielsweise etwa 20 Tonnen Käse aus Deutschland. Die ganze Ladung werde auf dem Gelände des Flughafens Pulkowo von St. Petersburg schubweise verbrannt, berichtet die russische Nachrichtenagentur Ria Novosti.

Früher wurden die Schmuggelwaren, die man an der Grenze aufgriff, an den Lieferanten zurückgeschickt. Deshalb hatten europäische Lieferanten unter Umgehung der geltenden Restriktionen neue Wege zum russischen Markt gesucht. Obst, Gemüse, Milchprodukte sowie Fleisch und Fisch waren ohne Begleitdokumente durch die Ukraine, Belarus (Weißrussland) und Kasachstan nach Russland gebracht worden. Das offizielle Amtsblatt der russischen Regierung Rossijskaja gazeta berichtet von mehr als 80 Warenlieferungen, insgesamt etwa 1.730,9 Tonnen, die allein im Gebiet Kaliningrad aufgebracht und dann von Zollbeamten zurückgeschickt wurden.

Auf den Märkten der russischen Städte Pskow, Sebesch und Velikije Luki wurden 1,5 Tonnen Gemüse, Obst und Beeren aus Polen, den Niederlanden, Spanien und Griechenland beschlagnahmt. Die Waren wurden aus Belarus eingeschmuggelt, das Mitglied in der Eurasischen Wirtschaftsunion ist und somit über einen Zugang zum gemeinsamen Wirtschaftsraum verfügt.    

Die Bevölkerung ist empört

Dass die Waren nun nicht mehr zurückgeschickt, sondern vernichtet werden, empört weite Teile der Bevölkerung. In Kommentaren der russischen Facebook-Nutzer ist von einem Lebensmittelkrieg die Rede. Warum werden Lebensmittel nicht an Bedürftige, Kinder- und Altersheime verteilt? Wozu werden Nahrungsmittel vernichtet, wenn man sie mit demselben Effekt doch auch einfach aufessen könnte? Diese Fragen finden sich auch in einer Petition auf der Kampagnenplattform change.org, die sich an die Regierung, die Staatsduma und Putin richtet.

Unterstützt wurde diese von mehr als 370.000 Menschen. Regierungssprecher Dmitri Peskow zweifelte diese hohe Zahl an. Die User reagierten darauf mit der Internet-Kampagne #IchLebe#Peskow#ZerquetscheEssenNicht, um zu beweisen, dass sie wirklich so viele sind.  "In diesem Moment wurden unsere User zu Leadern, die ihren Standpunkt verteidigen. Das ist unglaublich wichtig", sagt Dmitri Sawelow, der die Arbeit von change.org in Russland, Zentralasien und anderen osteuropäischen Ländern koordiniert.   

Auch die Gesellschaft für Verbraucherschutz (OZPP) protestierte gegen den Erlass des russischen Präsidenten zur Vernichtung von Schmuggelwaren, so die russische Nachrichtenagentur Interfax. Sie reichte sogar Klage vor dem Obersten russischen Gericht ein. 

Die OZPP hoffe, dass sich die Richter bei der Verhandlung vom Gesetz und nicht von der politischen Zweckmäßigkeit leiten lassen und der eingereichten Beschwerde stattgeben würden, sagte ein Pressesprecher der Organisation am vorigen Donnerstag. Die OZPP bestehe darauf, dass in Russland nur gesundheitsschädliche oder minderwertige Lebensmittel entsorgt würden. 

Kommunistische Partei kritisiert den Erlass stark

Die Kritik an der Lebensmittelvernichtung wird auch von der Kommunistischen Partei Russlands unterstützt. Unter der Führung ihres Chefs, Gennadi Sjuganow, legte die Partei einen Gesetzentwurf bei der Staatsduma vor. In diesem wird gefordert, dass die beschlagnahmten Lebensmittel an Bedürftige verteilt werden.  

Der Chefredakteur des regimekritischen Rundfunks Echo Moskwy, Alexej Wenediktow, bezeichnete die Vernichtung der Lebensmittel gar als  ''unmoralisch".  Dies gelte umso mehr, als in Russland laut Statistikbehörde Rosstat offiziell 23 Millionen Menschen arm sind.

All diese Kritiker können sich auf eine riesige Mehrheit in der russischen Bevölkerung stützen. Laut dem Meinungsforschungszentrum Zimes lehnen knapp 87 Prozent der Bevölkerung die Vernichtung der Lebensmittel ab. Dennoch unterstützt die Mehrheit der Russen die Verlängerung des Einfuhrverbots für Nahrungsmittel aus den westlichen Ländern, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Fom ergab. Eine Reaktion der russischen Regierung auf den Unmut der Bevölkerung gibt es wie so oft bislang nicht.

Wie Russland bereits Anfang August Lebensmittel-Importe vernichtete, zeigt dieses Video: