Heute scheint alles easy, alles erlaubt, nichts schockiert mehr.

Wäre da nicht der Arbeitsverweigerer. Der Drückeberger legt die Füße hoch und erklärt: "Ich habe keinen Bock auf Lohnarbeit. Keine Arbeit ist besser als jede Arbeit." Und schon steht er im Generalverdacht, zu verlottern und die Gesellschaft in den Abgrund zu stürzen. "Faul sein ist wunderschön, denn die Arbeit hat noch Zeit", trällert Pippi Langstrumpf immer wieder in die Welt. Recht hat sie. Doch Pippi lebt gefährlich. Denn sie begeht einen Hochverrat am Arbeitsfetisch unserer Zeit: Wir sollen schuften bis zum Umfallen, unsere Wirtschaft soll wachsen, wir sollen "etwas aus uns machen". Aha.

Sollen wir uns also zu Tode ackern und das virulente YOLO (you only live once) nur als Lippenbekenntnis auf Facebook posten? Liegt der Sinn unseres endlichen Lebens tatsächlich in unendlicher Arbeit?

Wir schuften in einem globalen Trümmerhaufen: Die 85 reichsten Menschen der Welt besitzen mehr als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammen – dank der globalen Lohnsklaven, Bürohengste, Ein-Euro-Jobber und der working poor. Die Hollywood-Mär "vom Tellerwäscher zum Millionär" ist für die meisten Menschen so real wie die Dinosaurier im Film Jurassic Park. Trotzdem rennen wir nine to five zur Arbeit, beuten die Natur und unsere Mitmenschen aus und bekommen Prügel, wenn wir aus dem Hamsterrad ausbrechen wollen und erst recht, wenn wir es anzuhalten versuchen.

Die Lage ist obendrein höchst schizophren: Wir streben insgeheim nach Faulheit – und preisen lautstark die Arbeit. Wer benutzt schon freiwillig ein Waschbrett, wenn er eine Waschmaschine hat? Dennoch glorifizieren wir Fleiß und Schweiß, und glauben Managern und Politikern, wenn sie uns die Mär von Wachstum, Wettbewerb und Standortsicherheit eintrichtern. Das ähnelt dem Stockholm-Syndrom, bei dem die Opfer von Geiselnahmen nach und nach ein positives Verhältnis zu ihren Peinigern aufbauen. Wir müssen aufhören, mit unseren Kidnappern zu kuscheln. Denn es könnte auch anders gehen, wie uns Heinrich Böll in seiner Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral berichtet:

Was wir von Koalabären lernen können

"Irgendwo an einer Küste in Westeuropa: Ein ärmlich gekleideter Fischer liegt am Hafen und döst. Ein reicher Tourist kommt vorbei, knipst einige Fotos und fragt mehrmals, ob es dem Fischer gut gehe und weshalb er denn nicht in See steche, um einen guten Fang zu machen. Als der Fischer ihm antwortet, dass er heute schon einen kleinen Fang gemacht habe, rechnet ihm der Tourist vor, was er sich mit noch mehr Beutefängen alles kaufen könne: in einem Jahr einen Schiffsmotor, in zwei Jahren ein zweites Boot, dann einen Kutter, ein großes Kühlhaus samt Räucherei und ein Fischrestaurant – und schließlich eine riesige Marinadenfabrik, mit der er die ganze Welt beliefern könne. Der Fischer bleibt sichtlich unbeeindruckt, was den Touristen umso nervöser macht. Was denn dann passiere, will der Fischer wissen: 'Dann', sagt der Fremde mit stiller Begeisterung, 'dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen – und auf das herrliche Meer blicken.' – 'Aber das tu ich ja jetzt schon', sagt der Fischer, 'ich sitze beruhigt am Hafen und döse, nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört.' Tatsächlich zog der solcherlei belehrte Tourist nachdenklich von dannen, denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite, um eines Tages einmal nicht mehr arbeiten zu müssen, und es blieb keine Spur von Mitleid mit dem ärmlich gekleideten Fischer in ihm zurück, nur ein wenig Neid."

In dieser kleinen Erzählung steckt eine große Wahrheit: Der Fischer lebt nicht, um zu arbeiten – er arbeitet, um zu leben. Heutzutage lautet die Logik aber allzu oft: Ich kaufe mir ein Auto, um zur Arbeit zu fahren – und ich fahre zur Arbeit, um mir das Auto leisten zu können. Welch ein Irrsinn.

Was macht der Fischer eigentlich, wenn er mal was macht? Er arbeitet für ein "Zieleinkommen". Damit bezeichnen Wirtschaftswissenschaftler folgendes: Die Menschen schuften gerade so viel, bis sie alles haben, was sie zum Überleben brauchen. Dann lassen sie den Hammer fallen, entspannen sich und freuen sich des Lebens. Diese Strategie verfolgt zum Beispiel der Stamm der !Kung, der in der afrikanischen Kalahari Wüste lebt: Die !Kung arbeiten nur das Nötigste – und wenden dafür zehn bis maximal zwanzig Stunden Arbeit die Woche auf. Nichtkapitalistische Gesellschaften orientieren sich ebenso am Zieleinkommen wie das gesamte Tierreich.

Der Koalabär zum Beispiel praktiziert das Zieleinkommen fast schon in Vollendung: Er isst ein paar Eukalyptusblätter und döst dann einfach; schläft der Koala weniger als 18 Stunden am Tag, stirbt er an Erschöpfung. Nicht so der Mensch, der es lieber vorzieht, 18 Stunden am Tag zu malochen.