Der Konzertagent Berthold Seliger

Die Guten werden geschröpft, die Bösewichte immer reicher und die Politiker stecken mit den Gangstern unter einer Decke. Nur der Profit zählt, die Moral ist nichts mehr wert. Und über allem liegt die Friedhofsruhe der Omertà.

Nein, hier ist weder die Rede von der Mafia noch vom Radsport, aber doch immerhin von der Musikbranche. So, wie Berthold Seliger sie sieht. Er ist erfolgreicher Konzertveranstalter, streitbarer Geist und Gelegenheitsautor. Als solcher hat er nun ein neues Buch geschrieben: In Das Geschäft mit der Musik. Ein Insiderbericht beschreibt er eine Branche, seine Branche, in der sich multinationale Konzerne bereichern und nicht nach künstlerischen, sondern rein kommerziellen Gesichtspunkten entscheiden, während sich die Künstler ausbeuten lassen.

Ein Insider ist Seliger tatsächlich. Seit er vor 25 Jahren in Fulda seine Konzertagentur gründete, mit der er 2000 nach Berlin umgezogen ist, hat sie sich durch unternehmerische Geduld zu einem der renommiertesten Tourneebüros des Landes entwickelt. Seliger hat amerikanische Singer/Songwriter, Avantgarde-Punk und Weltmusik auf deutsche Bühnen gebracht, große Namen wie Lou Reed, Patti Smith oder Youssou N'Dour und geschätzte Geheimtipps wie Bonnie Prince Billy oder Bratsch. Er hat die Karrieren von Acts wie Calexico, Lambchop, Pere Ubu oder The Residents über lange Jahre begleitet und systematisch zum Erfolg geführt.

Im Blog kriegen alle ihr Fett weg

Aber so verlässlich Seliger als Mann im Hintergrund für seine Künstler agiert, so lautstark und kontrovers meldet er sich immer wieder zu Wort, wenn ihn etwas stört. Vor allem in seinem E-Mail-Newsletter, der auch als Blog erscheint, schimpft er auf die großen Entertainmentkonzerne und ihre seelenlose Produkte, beklagt die Kommerzialisierung des Geschäfts und die mangelnde Unterstützung der Politik, kritisiert Journalisten und Lobby-Arbeiter, kommentiert gesellschaftliche und politische Entwicklungen. Allein im aktuellen Mitteilungsbrief bekommen Die Toten Hosen, der Apple-Konzern, die Presseverlage, die das Leistungsschutzrecht durchgedrückt haben, die Spotify-Algorithmen, die Deutsche Grammophon, Stefan Raab, die Schweiz, Spex und der Spiegel ihr Fett weg.

Seliger ist ein Späteinsteiger. Nicht in der Musik, aber im Musikgeschäft. Als Kind hat er Klavier gelernt, war nicht ganz untalentiert, sagt er, aber hatte keine Ambitionen, Musiker zu werden. Stattdessen wurde er Musikpädagoge, ging in die Politik. Dass er mit 35 Jahren seine Agentur gründete, war eher ein Zufall. "In einem Anfall von Größenwahn", sagt Seliger, habe er jene Kultur in seine Heimatstadt Fulda bringen wollen, die ihm selbst dort fehlte. Die Konzertreihe wurde zum finanziellen Desaster, aber führte zu ersten Kontakten, "und schon war ich Tourneeveranstalter".

Vielleicht liegt es daran, dass er erst vergleichsweise spät zum Geschäft mit der Musik kam, dass er sich die Liebe zur Musik erhalten hat, "bis heute manisch begeisterter Musikhörer" geblieben ist, sich niemals den bei seinen Kollegen durchaus verbreiteten Zynismus angewöhnt und sich eine gewisse Distanz zur Branche erhalten hat. Eine Position, aus der er mitunter geharnischte Kritik verteilt an seinen Lieblingsfeind Dieter Gorny, den ehemaligen VIVA-Chef, Popkomm-Erfinder und jetzigen Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbands Musikindustrie. Zwar fühlen sich viele von ihrem Cheflobbyisten nicht angemessen repräsentiert, aber Seliger ist einer der wenigen, die sich auch trauen, das öffentlich zu sagen. Im Buch wirft er Gorny "dumpfe Propaganda" vor, weil der immer wieder allein Internetpiraterie für die Krise seiner Branche verantwortlich macht und die Konsumenten kriminalisiert, anstatt die Fehler der Industrie, die die Digitalisierung zweifellos verschlafen hat, aufzuarbeiten.

Kritik am System der Global Player

Doch Seliger kritisiert nicht nur die großen Konzerne, für die Gorny steht, sondern auch Akteure wie Mark Chung, den einstigen Bassisten der Einstürzenden Neubauten und jahrelangen Vorstandsvorsitzenden beim Verband unabhängiger Musikunternehmen (VUT), der, glaubt man Seliger, eine ähnliche Politik wie Gorny vertritt. Chung hat Seliger dafür in einem offenen Brief schon mal "Polemik" bescheinigt. "Natürlich findet ein Herr Gorny bescheuert, was ich sage", sagt Seliger im Gespräch, "aber ich finde ja auch bescheuert, was der oder andere Vertreter dieses Systems sagen."

Mit diesem System vor allem beschäftigt sich Seliger in seinem Buch. Ausgiebig analysiert er, während er Slavoj Žižek, Walter Benjamin, Niklas Luhmann, Friedrich Kittler, Adorno und Horkheimer, aber auch Harry Belafonte und Keith Richards zitiert, eine Musikindustrie, in der nur noch wenige Global Player den Markt kontrollieren und das Publikum mit "kulturellem Einheitsbrei" füttern. Der Neoliberalismus, so seine These, hat die Musikindustrie übernommen und gefährdet die kulturelle Vielfalt. Seine Diagnose: "Die Musikbranche spielt Monopoly." Die Konzentrationsprozesse im Live-Geschäft, in dem er selbst tätig ist, hätten dazu geführt, dass zwei oder drei Konzerne das Geschäft unter sich aufteilen. Die Folge ist, dass "Konzerte nicht als kulturelle Ereignisse, sondern als privatisierte Lifestyle-Zugabe zu bereits getätigtem Konsum" inszeniert werden.