Als eine Bekannte auf Twitter nach einer Fahrgelegenheit für fünf Syrer von Wien in Richtung Passau fragt, bietet Joachim Maurer (Name geändert) seine Hilfe an. Es ist Montag, der 14. September. Seit Tagen bringt die Bahn Tausende Flüchtlinge in Sonderzügen aus Österreich nach Bayern – aber nie reichen die Plätze. In Wien sind die Notlager knapp, Menschen übernachten auf der Straße. Doch für den promovierten Kulturwissenschaftler endet die nächtliche Tour mit seinem alten Opel Zafira vom Wiener Hauptbahnhof an die deutsche Grenze in einer Zelle in Passau.
ZEIT ONLINE: Herr Maurer, die bayerischen Strafverfolger halten Sie für einen Schleuser. Sie wurden nur gegen eine Kaution von 5.000 Euro aus der Untersuchungshaft entlassen. Was genau haben Sie getan?
Joachim Maurer: Ich hatte mich spontan entschlossen, vier Männer und eine Frau aus Syrien zur deutschen Grenze zu bringen. Ich habe sie am Wiener Hauptbahnhof kennengelernt. Es war an diesem Abend Mitte September unklar, ob für Flüchtlinge noch Züge nach Deutschland fahren würden. Die Leute wollten nach den Strapazen und Erniedrigungen der Flucht endlich ankommen. Ich wollte ihnen ersparen, eine weitere Nacht im Dreck oder in einer unwürdigen Situation zu verbringen. Später im Auto sprachen wir über die Lage in Syrien. Einer meiner Fahrgäste schilderte mir, wie er gefoltert wurde.
ZEIT ONLINE: Haben Sie Geld für die Fahrt bekommen?
Maurer: Nein, als Universitätsdozent kann ich es mir ja leisten, in meiner Freizeit kostenlos einen solchen Shuttledienst anzubieten. Da die österreichische und die Deutsche Bahn auch zu Tausenden Geflüchtete in Direktzügen von Wien nach Deutschland fuhren, hatte ich nicht einmal ein mulmiges Gefühl. Ich dachte, ich tue ja genau das Gleiche – nur nicht auf Schienen, sondern auf Asphalt.
ZEIT ONLINE: Sie hätten die Flüchtlinge vorsichtshalber ein paar Hundert Meter vor der deutschen Grenze absetzen können.
Maurer: Das erschien mir lächerlich und gegenüber den Leuten auch respektlos. Es ist doch absurd: Wenn ich drei Meter vor der Grenze stoppe, bin ich ein Held, der sich menschlich und solidarisch verhält. Und wenn ich drei Meter weiter fahre, werde ich plötzlich zum Straftäter.
ZEIT ONLINE: Polizei und Justiz argumentieren: So ist die Rechtslage.
Maurer: Da bin ich mir nicht so sicher. Wenn zwei Regierungen einen Shuttleservice für Flüchtlinge mit der Bahn organisieren, ist das dann wirklich noch illegal, wenn es einzelne auch machen? Mein Anwalt hat mit dieser Begründung beantragt, dass das Verfahren gegen mich eingestellt wird. Das wünsche ich natürlich auch allen, die das Gleiche getan haben wie ich und nun auch ein Verfahren wegen Schleusung am Hals haben.
ZEIT ONLINE: Womit hatten Sie gerechnet – dass die Polizei sich nicht für Sie interessiert und Sie noch in derselben Nacht nach Hause kommen?
Maurer: Ja klar. Die Lokführer der Österreichischen Bundesbahnen werden ja auch nicht in Passau verhaftet, sondern dürfen wieder zurückfahren.
ZEIT ONLINE: Was passierte stattdessen am Grenzübergang Schärding?
Maurer: Der erste deutsche Polizist an der Grenze versicherte, er wolle nur meine Personalien aufnehmen, es sei alles nicht so ernst, ich müsse mir keine Sorgen machen. Eine andere Beamtin schlug aber gleich vor, ich solle die österreichische Botschaft in Deutschland anrufen oder einen Anwalt. Das habe ich nicht gemacht, weil ich ihrem Kollegen glaubte. Kurz darauf führten mich Polizisten in Handschellen ab und transportierten mich in das Erstaufnahmelager für Flüchtlinge in Passau. Der einzige Trost war, dass wenigstens die fünf Leute, also meine Fahrgäste, ohne Handschellen in die Passauer Erstaufnahme gebracht wurden.
ZEIT ONLINE: Warum kamen Sie in die Erstaufnahme und nicht gleich auf eine Polizeiwache?
Maurer: Es gab in der Erstaufnahme eine kleine Sektion für Leute wie mich, die man Schleuser nennt. Wir wurden über Nacht zu mehreren in kleine Container gesperrt. Mein Handy hatte die Polizei mir abgenommen. Nach elf Stunden durfte ich das erste Mal telefonieren. Das hat mich am meisten genervt. Denn es gab ja Leute zu Hause in Wien, die sich inzwischen Sorgen um mich machten.
ZEIT ONLINE: Konnten Sie Polizei und Haftrichter nicht überzeugen, dass Sie nur ehrenamtlich helfen wollten?
Als eine Bekannte auf Twitter nach einer Fahrgelegenheit für fünf Syrer von Wien in Richtung Passau fragt, bietet Joachim Maurer (Name geändert) seine Hilfe an. Es ist Montag, der 14. September. Seit Tagen bringt die Bahn Tausende Flüchtlinge in Sonderzügen aus Österreich nach Bayern – aber nie reichen die Plätze. In Wien sind die Notlager knapp, Menschen übernachten auf der Straße. Doch für den promovierten Kulturwissenschaftler endet die nächtliche Tour mit seinem alten Opel Zafira vom Wiener Hauptbahnhof an die deutsche Grenze in einer Zelle in Passau.