Würde ich mir heute eine Tradition ausdenken, bei der sich ab 18 Uhr alle mit fettem Essen und Alkohol abfüllen, um dann ab 23.30 Uhr betrunken mit Sprengstoff und Raketen zu hantieren, würde man mich zu Recht fragen, wer freiwillig an so einem Schwachsinn teilnehmen möchte – und ob ich noch ganz dicht sei, so einen Blödsinn vorzuschlagen.

Da bei Traditionen aber niemand nach dem Warum fragt, füllen sich jedes Silvester die meisten Menschen in Deutschland ab 18 Uhr mit fettem Essen und Alkohol ab, um ab 23.30 Uhr betrunken mit Sprengstoff und Raketen zu hantieren. In Berlin fangen die Böllerfestspiele dabei traditionell bereits am 24. Dezember an und steigern sich bis Mitternacht am 31. Dezember. Die Zugabe kann dann gern auch noch ein paar Januartage dauern.

Ebenfalls deutsche Tradition ist es, dass Phänomene, wenn sie Tote fordern, kurz öffentlich und folgenlos diskutiert werden. So auch dieses Silvester: Zwei Männer, 19 und 35 Jahre alt, starben in Brandenburg beim Hantieren mit Böllern. Zyniker könnten sagen: Die sind doch selbst schuld, was hantieren die auch mit selbst gebauten Böllern. Die Angehörigen der Opfer sehen das mit Sicherheit anders. Sie haben durch vermeidbare Unvernunft geliebte Menschen verloren.

Zweifel an der Vernunftbegabtheit der Menschen

Zu einem anderen Schluss wird auch ein 14-jähriges Mädchen in Thüringen kommen, das momentan um sein Augenlicht bangen muss, weil ein noch nicht ermittelter Vollidiot einen Böller in eine Menschengruppe geworfen haben soll. Der Böller explodierte in ihrem Gesicht. Wer sowieso Zweifel an der Vernunftbegabtheit der Menschheit hat, kann sich alljährlich durch den Silvesterwahnsinn bestätigt sehen.

Auch Feuerwehrleute und Polizistinnen und Polizisten dürften sich zu Recht fragen, für wen sie das alles eigentlich machen, wenn sie bei Einsätzen an Silvester mit Feuerwerk beworfen und beschossen werden. Die Bilanz in Berlin laut Behörden: 57 Angriffe auf Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr, die Besatzung eines Rettungswagens soll sogar mit Schusswaffen bedroht worden sein. In Neukölln hat eine Gruppe Jugendlicher Polizisten mit Feuerwerk beschossen, dabei soll ein Auto in Brand gesetzt worden sein.

Das Berliner Unfallkrankenhaus twitterte in der Silvesternacht über seine Auslastung. Bis sieben Uhr morgens wurden 21 Bölleropfer behandelt, die Handchirurgie war durchgehend in drei Operationssälen beschäftigt, dabei gab es mindestens fünf schwere Amputationsverletzungen. Elf Personen erlitten Hörschäden.